Toxikologie
Todesfälle und schwere Zwischenfälle durch Lachgas
Tod durch oder während Lachgas?
Bei allen Berichten über Todesfälle im Zusammenhang mit der medizinischen Anwendung von Lachgas muss grundsätzlich zunächst unterschieden werden, ob es sich wirklich um eine direkte Schädigung durch das Lachgas selbst handelt, also im Sinne einer medikamentösen Nebenwirkung oder unerwünschten Wirkung.
Davon abzugrenzen sind Ereignisse, bei denen während der Gabe von Lachgas eine unzureichende Konzentration von Sauerstoff (< 20%) inhaliert werden und zur Hypoxie führen. Dies wird im klinischen Alltag durch ein mehrstufiges Sicherheits- und Kontrollsystem verhindert: 1. speziell genormte Farbkodierungen der Gasflaschen und Anschlusskupplungen und -gewinde der Gasschläuche, 2. die bei Narkosegeräten vorgeschriebene Messung der inspiratorischen Sauerstoffkonzentration und 3. die kontinuierliche Messung der Sauerstoffsättigung am Patienten. Solche Schadensereignisse haben also mit dem Arzneimittel Lachgas garnichts zu tun, sondern beruhen auf technischen Fehlern, die unerkannt bleiben. Sie sind also am ehesten mit Medikamentenverwechselungen zu vergleichen, die an den iatrogenen Todesfällen im Krankenhaus einen wesentlichen Anteil haben.
Tod während Narkosen mit Lachgas
Besondere Aufmerksamkeit erregte eine Serie von Todesfällen 2004 in einer Klinik in Hoyerswerda. Hier waren in einem Narkosegerät die Gasleitungen von Lachgas und Sauerstoff vertauscht worden, wodurch 3 junge Frauen mit einem hypoxischen Gasgemisch so lange beatmet wurden, dass sie daran verstarben (Berliner Tagesspiegel). Dabei erkannte die 2. Zivilkammer des Landgerichts Bautzen in einem der Schadensersatzprozesse hierzu (AZ: 2 O 662/08) nicht nur bei dem die Gerätewartung durchführenden Medizintechniker ursächliches Fehlverhalten fest, sondern wies auch darauf hin, dass das damals involvierte Anästhesie-Team (Arzt wie Pflege) bei ordnungsgemäßer Geräteüberprüfung den Fehler hätte bemerken müssen (Pressemitteilung des Landgericht Bautzen vom 16.12.2009).
Eine ebenso kaum nachvollziehbare (weil technisch ohne Manipulation nicht mögliche) "Verwechslung" der Gasanschlüsse in einem Beatmungsgerät im bayrischen Trostberg kostete einen 18-jährigen Schwerverletzten Anfang 2004 das Leben (Süddeutsche Zeitung).
2007 publizierten Herff und Kollegen [Herff 2007] von der Universität Innsbruck einen Artikel, für den sie deutschsprachige Massenmedien in der Zeit von April 2004 bis Oktober 2006 nach fatalen Zwischenfällen mit Lachgas durchsuchten. Neben den oben genannten in Hoyerswerda und Trostberg fanden die Autoren noch einen Todesfall in der Schweiz, bei dem die Lachgas- und Sauerstoffleitungen an einer Herz-Lungen-Maschine fehlkonektiert waren, sowie einen weiteren aus Österreich, bei dem während des Neubaus eines Klinikums der dezentrale Lachgastank an eine Sauerstoffleitung angeschlossen wurde (Salzburger Nachrichten).
Es wird deutlich, dass die oben genannten Fälle nicht etwa Todesfälle durch Lachgas darstellen, sondern auf technische Mängel bzw. Fehlleistungen zurück zu führen sind, die überdies - zum Teil fahrlässig - unbemerkt blieben. Es handelt sich also eher um fehlerhafte Sauerstoff-Anschlüsse, denn die daraus resultierende Hypoxie war das eigentlich fatale Problem. Solche Mängel entsprechen damit anderen ähnlichen in der klinischen Praxis bekannten und gefürchteten Ereignissen, die ebenfalls potentiell tödliche Folgen haben können: z.B. Ausfall von Infusionspumpen oder Beatmungsgeräten, Fehlbestimmungen kritischer Laborwerte, Fehlfunktionen lebenswichtiger Organunterstützungssysteme wie Herzschrittmachern, Defibrillatoren oder aber Medikamentenverwechslungen.
Todesfälle durch Lachgas?
Grundsätzlich wird Lachgas heute weltweit routinemäßig während Allgemeinanästhesien (Vollnarkosen) eingesetzt. Dass die Verwendung von Lachgas weder auf die Krankenhausmortalität noch (z.B. als Folge von Komplikationen) auf die Krankenhausverweildauer hat, zeigte die 2007 publizierte ENIGMA-Studie, die prospektiv, randomisiert und multizentrisch insgesamt 2.050 Patienten eingeschlossen hatte [Myles 2007]. Damit wurde die klinische Sicherheit von Lachgas nach heutigem wissenschaftlichen Standard bestätigt.
Dass Lachgas über die Oxidation von Vitamin B12 zu einer verminderten Aktivität des im Körper für viele Vorgänge wichtigen Enzyms Methionin-Synthetase führt, ist seit langem bekannt [Weimann 2003]. Diesem Umstand wird in der klinischen Routine dadurch Rechnung getragen, dass die Anwendung von Lachgas auf 6 Stunden begrenzt wird und ein schwerer Vitamin B12- oder Folsäure-Mangel als Kontraindikation für Lachgas gilt [Sanders 2008]. So kann es bei Vorliegen sehr seltener genetischer Enzymdefekte nach Anwendung von Lachgas zu schweren Zwischenfällen kommen, wie zwei Fallberichte nahe legen [5,6].
Wird jedoch Lachgas nicht im medizinischen Kontext verwendet, sondern durch Laien als Rauschmittel gebraucht (z.B. gewonnen aus kommerziellen Sahnekapseln, für die es als Treibgas dienst), kann es zu tödlichen Unfällen kommen wie mehrfach beschrieben [7,8,9,10]. Ursache ist am ehesten die (versehentliche) Inhalation von purem Lachgas, also eines hypoxischen Gasgemisches, mit der Folge eines tödlichen Sauerstoffmangels (Asphyxie).
Der Fall Rita Lage, Zürich 1953
In seiner Dezember-Ausgabe 1954 berichtete DER SPIEGEL unter der Überschrift "Du bist in der Hölle" über einen schweren Zwischenfall während einer Lachgassedierung, der sich am 15. Juli 1953 in Zürich zugetragen hatte.
Danach war die 29-jährige Angestellte Rita Eleonora Lage kurz nach Beginn einer Lachgassedierung für eine Zahnbehandlung durch ihre Zahnärztin Dr. Minna Grob "wie in Trance" vom Behandlungsstuhl aufgestanden und hatte sich vom Balkon der Praxis gestürzt. Sie überlebte den Sturz schwerverletzt mit einer Schädelfraktur und mehreren anderen Knochenbrüchen.
Daraufhin - so berichtet der SPIEGEL-Artikel weiter - habe sich unter den damaligen Gelehrten und auch in dem nachfolgenden Prozess ein Streit über die möglichen Gefahren von Lachgas entsponnen.
Den Argumenten des damaligen Verteidigers von Dr. Grob folgend wurde diese jedoch frei gesprochen, weil sich ein Selbstmordversuch von Rita Lage und damit ein geplantes Vorgehen als der wahrscheinlich wahre Hintergrund des Zwischenfalles herausstellte.
Interessant an dem Bericht ist aber auch die Tatsache, dass bereits in den 50-iger Jahren eine Ausbildung gefordert wurde, die Zahnärzte berechtigte, Lachgas in Kombination mit Sauerstoff (damals noch 20% Lachgas gemischt mit 20% Sauerstoff, Rest Raumluft) anzuwenden. Auch belegt er, dass schon damals Lachgas nach Wirkung angepasst (titriert) wurde.
Eine so extrem halluzinogene Wirkung wie sie im Fall Rita Lage beschrieben wurde, tritt nach heutigem Kenntnisstand bei der klinischen Anwendung von Lachgas-Sauerstoff-Gemischen, wie sie heute praktiziert wird, nicht auf. Demgegenüber finden sich aber auch heute im Internet Videos, die Jugendliche beim Konsum von (wahrscheinlich purem) Lachgas aus Ballons zeigen, die nach Inhalation in Lachkrämpfe verfallen. Da bei diesem Missbrauch davon ausgegangen werden muss, dass es zu einer Hypoxie kommt, könnte hypothetisiert werden, dass eine euphorisierende und/oder halluzinogene Wirkung von Lachgas vor allem bei gleichzeitiger Hypoxie auftritt. Belege hierfür finden sich zum jetzigen Zeitpunkt aber in der wissenschaftlichen Literatur nicht.
Literatur
- Herff H, Paal P, von Goedecke A, Lindner KH, Keller C, Wenzel V. Fatal errors in nitrous oxide delivery. Anaesthesia 2007; 62: 1202-1206 PubMed …
- Myles PS, Leslie K, Chan MT, Forbes A, Paech MJ, Peyton P, Silbert BS, Pascoe E; ENIGMA Trial Group. Avoidance of nitrous oxide for patients undergoing major surgery: a randomized controlled trial. Anesthesiology 2007; 107: 221-231PubMed …
- Weimann J. Toxicity of nitrous oxide. Best Pract Res Clin Anaesthesiol 2003; 17: 47-61 PubMed …
- Sanders RD, Weimann J, Maze M. Biologic effects of nitrous oxide: a mechanistic and toxicologic review. Anesthesiology 2008; 109: 707-722 PubMed …
- Selzer RR, Rosenblatt DS, Laxova R, Hogan K. Adverse effect of nitrous oxide in a child with 5,10-methylenetetrahydrofolate reductase deficiency. N Engl J Med 2003; 349: 45–50 PubMed …
- McNeely JK, Buczulinski B, Rosner DR. Severe neurological impairment in an infant after nitrous oxide anesthesia. Anesthesiology 2000; 93: 1549–1550 PubMed …
- Potocka-Banas B, Majdanik S, Dutkiewicz G, Borowiak K, Janus T. Death caused by addictive inhalation of nitrous oxide. Hum Exp Toxicol 2011; 30: 1875-1877 PubMed …
- Winek CL, Wahba WW, Rozin L. Accidental death by nitrous oxide inhalation. Forensic Sci Int 1995; 73: 139-141 PubMed …
- Suruda AJ, McGlothlin JD. Fatal abuse of nitrous oxide in the workplace. J Occup Med 1990; 32: 682-684 PubMed …
- Rothschild MA, Schneider V. Über zwei autoerotische Unfälle: Tödliche Lachgasnarkose und Thoraxkompression. Arch Kriminol 1997; 200: 65-72 PubMed …