Anwendungsgebiete
Lachgas in der Anästhesie
Im Jahre 1844 demonstrierte der Zahnarzt Horace Wells erstmals die schmerzlindernde und sedierende Wirkung von Lachgas. Es ist damit das am längsten bekannte und bis heute weltweit verwendete Analgetikum/Anästhetikum.
Immer wieder wurde die Frage gestellt, ob Lachgas in der Anästhesie weiterhin einen Stellenwert hat und immer wieder hat Lachgas diesen auf dem Prüfstand der modernen klinischen Wissenschaft behauptet. Eine wiederkehrende kritische Auseinandersetzung ist Grundlage für eine gute und moderne Medizin auf höchstem Niveau.
Wirkt Lachgas überhaupt während Narkose?
Die mittlere Konzentration in den Alveolen der Lungen, bei der 50% aller Patienten nicht mehr auf einen chirurgischen Reiz reagieren (sog. "MAC"-Wert) liegt bei 107%. Das bedeutet, dass mit Lachgas allein keine Narkose erreicht werden kann.
Dies ist der Grund, warum von jeher Lachgas in der Anästhesie in Kombination mit anderen Anästhetika eingesetzt wird, wie z.B. Inhalationsanästhetika (Isofluran, Sevofluran oder Desfluran) oder intravenöse Anästhetika (Propofol) und Analgetika (Fentanyl, Sufentanyl oder Remifentanil).
Dass die Kombination eines dieser Narkosemittel mit Lachgas eine Verminderung von deren notwendigen Konzentration - und damit auch ihrer potentiellen Nebenwirkungen - ermöglicht, ist Grundlage der weltweiten Verbreitung von Lachgas als Teil einer Narkose. Eindrücklich konnte dies z.B. in einer Studie von Albertin et al. gezeigt werden: 60% N2O reduziert den MAC-Wert von Sevofluran um 70% von 7,0% auf 1,2% [Albertin 2005].
Ist die Anwendung von Lachgas während Anästhesie sicher?
2007 verglich eine australische Forschergruppe um Paul S. Myles in einer großen prospektiven, randomisierten Studie, der sog. "ENIGMA I-Studie" [Myles 2007], bei 2.050 Patienten zwei Narkoseregime: eines unter Verwendung von Lachgas und eines, welches sie als "Lachgas-frei" bezeichneten. Als primärer Endpunkt wurde die Krankenhausverweildauer untersucht; zusätzlich wurden die Gruppen bezüglich postoperativer Komplikationen verglichen. Als Ergebnis zeigt die Studie, dass die Verwendung von Lachgas als Komponente der Narkoseführung keinen Einfluss auf die Krankenhausverweildauer oder Mortalität hatte.
Unter anderem deshalb, weil in der sog. "Lachgas-freien Gruppe" anstelle von Lachgas Sauerstoff verwendet wurde und für Sauerstoff per se ein Einfluss auf einige der Messparameter nachgewiesen ist (z.B. postoperative Wundinfektionen [Greif 2000, Belda 2005], postoperative Übelkeit und Erbrechen [Greif 1999]), wurde das Studien-Design heftig diskutiert und kritisiert [Hopf 2007, Dawson 2008, Sharma 2008, White 2008]. Es wurde der Vorwurf erhoben, dass das Studiendesign einen Bias gegen Lachgas enthalten hätte, geht man davon aus, dass eine erhöhte FiO2 während Narkose positive Effekte habe.
Diese Kritik aufnehmend wurde eine weitere große randomisierte, prospektive Studie aufgelegt - die "ENIGMA-II-Studie" [Myles 2009], die über 7.000 Patienten hinsichtlich Auftreten schwerer kardiovaskulärer Nebenwirkungen (Myokardinfarkt, Schlaganfall und Tod) untersuchte. Das Ergebnis der Studie wurde im Mai 2014 erstmals vorgestellt: es konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen der Lachgas- und Lachgas-freien Gruppe gefunden werden [Myles 2014].
Prof. Myles, Studienleiter von ENIGMA-II und selbst dem Lachgas eher kritisch gegenüber eingestellt [Myles 2013], in einem Interview während des ANZCA Annual Scientific Meeting in Singapore:
"A lot of people have stopped using nitrous oxide because they were concerned about safety ... We could demonstrate quite clearly in our study that nitrous oxide is safe ... Nitrous oxide gets a clean bill of health."
Auch die Ergebnisse der 1-Jahres-Nachuntersuchung der ENIGMA-II-Patienten zeigten keine Unterschiede bezüglich kardio-vaskulärer Morbidität und Mortalität zwischen der Lachgas-Gruppe und der Gruppe ohne Lachgas zur Narkose [Leslie 2015].
Lachgas senkt das Risiko, postoperativ ein chronisches Schmerzsyndrom zu entwickeln.
Eine Nachuntersuchung 423 Patienten der o.g. ENIGMA-I-Studie [Myles 2007] zeigte, dass die Inzidenz postoperativer chronischer Schmerzsyndrome in der Lachgas-Gruppe mit 15/214 Patienten (7,0%) um 50% niedriger als in der sog. Lachgas-freien Gruppe mit 31/209 Patienten (14,8%) lag (OR = 0,43, 95% CI = 0,23–0,83, P = 0,01) [Chan 2011]. Als möglicher Mechanismus könnte die Wirkung von Lachgas als NMDA-Rezeptor-Antagonist gelten, was mit dem Effekt einer sog. präemptiven Analgesie in Verbindung gebracht wird. Weitere Untersuchungen hierzu stehen aus.